Strafrecht
Änderungen im Strafprozessrecht 2020
02.01.2020
Reform der StPO
Im November hat der Bundestag die Reform des Strafverfahrens beschlossen. Zwar tritt die Reform noch nicht zu Beginn 2020 in Kraft, die Kenntnis der zentralen Reformpunkte ist aber schon jetzt sinnvoll:
Minimierung von Prozessverzögerungen durch Befangenheitsanträge
Der Strafverteidiger muss einen Befangenheitsantrag künftig unverzüglich stellen, nachdem die Befangenheitsgründe bekannt sind. Während der Hauptverhandlung kann der abgelehnte Richter das Verfahren über zwei Wochen fortsetzen. Spätestens dann muss über den Befangenheitsantrag entschieden sein.
Erleichterte Zurückweisung von Beweisanträgen
Beweisanträge können künftig leichter abgelehnt werden. Gemäß § 244 Abs. 3 StPO n.F. muss ein Beweisantrag das ernsthafte Verlangen zur Beweiserhebung über eine bestimmte Tatsache, Schuld oder Rechtsfolgenfrage beinhalten. Beweisanträge, die nach Auffassung des Gerichts der Verschleppung des Verfahrens dienen, können ohne förmlichen Gerichtsbeschluss abgelehnt werden.
Besetzungsrügen werden vorab entschieden
In einem neuen Vorabentscheidungsverfahren soll über Besetzungsrügen entschieden werden. Dem Verteidiger muss eine Besetzungsmitteilung vor Beginn des Verfahrens zugestellt werden. Die Besetzungsrüge muss dann innerhalb einer Woche erhoben werden. Entscheidungsbefugt sind das OLG bzw. der BGH bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem OLG.
Unterbrechung bei Mutterschutz oder Elternzeit
Wenn ein Richter wegen Mutterschutz oder Elternzeit ausfällt, kann die Hauptverhandlung bis maximal drei Monate und zehn Tage unterbrochen werden, ohne dass der Prozess neu aufgerollt geheilt werden muss.
Verhüllungsverbot
Angeklagte und Zeugen dürfen ihr Gesicht in der Verhandlung nicht verhüllen (Burka- und Niqap-Verbot). Ausnahmen bestehen für besonders gefährdete Zeugen oder verdeckte Ermittler.
Erweiterte DNA-Analyse
Die DNA-Analyse darf sich künftig auch auf Hautfarbe, Augenfarbe, Haarfarbe und Alter der Gesuchten beziehen → Erweiterte Zulässigkeit bei der DNA-Analyse zu Ermittlungszwecken.
Ausdehnung der Telekommunikationsüberwachung
Die Telekommunikationsüberwachung darf gemäß § 100 a StPO künftig auch zur Aufklärung von Einbrüchen in Privatwohnungen angeordnet werden. Die Überwachung umfasst auch das Mitlesen von verschlüsselten Informationen über Messenger-Dienste auf dem Handy
Besserer Persönlichkeitsschutz für Opfer von Sexualdelikten
Wenn schutzwürdige Interessen des Opfers es erfordern, kann künftig auch die Vernehmung von erwachsenen Opfern von Sexualstraftaten - bisher nur Jugendliche - im Ermittlungsverfahren durch einen Richter audiovisuell aufgezeichnet und die Videoaufzeichnung in die Hauptverhandlung eingeführt werden.
Gruppenanwalt für Nebenkläger
Zur Vermeidung einer größeren Riege von Rechtsanwälten für Nebenkläger - wie im NSU Prozess - kann das Gericht künftig einer Gruppe von Nebenklägern einen gemeinsamen Rechtsanwalt beiordnen. Voraussetzung sind gleichgelagerte Interessen der Nebenkläger.
Einheitliche Standards für Dolmetscher
Schließlich soll die Qualität der Dolmetscher durch einheitliche Standards verbessert werden.
Pflichtverteidigerbestellung soll schon im Vorverfahren möglich sein
Schon lange wird kritisiert, dass es keine Prozesskostenhilfe für Beschuldigte oder Angeklagte im Strafverfahren gibt und kein Anspruch auf Verteidigung im Ermittlungsverfahren besteht ("Zwei-Klassen-Justiz"). Das soll sich durch die - verspätete - Umsetzung der EU PKH-Richtlinie in nationales Recht ändern.
Die EU-Richtlinie 2016/1919, welche seit 2016 in Kraft ist und bis zum 5. Mai 2019 in nationales Recht umzusetzen war, sieht vor, dass Verdächtige und Beschuldigte in einem Strafverfahren sowie gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls bereits frühzeitig Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben, wenn diese nicht über ausreichend finanzielle Mittel zur Bezahlung eines Rechtsanwaltes verfügen und dies im Interesse der Rechtspflege steht.
Inzwischen liegt ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (BT-Drucks. 19/13829) vor, der die EU-Richtlinie umsetzen und das vom BMJV als bewährt empfundene, aber unter Strafverteidigern auch in Teilen unumstrittene System der notwendigen Beiordnung grundsätzlich beibehalten soll.
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