Erbrecht

Anfechtung einer Erbschaftsausschlagung bei fälschlich angenommener Überschuldung

04.09.2024

OLG Frankfurt am Main - Beschluss vom 24.07.2024 - 21 W 146/23 –


In diesem interessanten Fall aus dem Erbrecht hatte sich das Gericht mit der Frage zu befassen, ob ein Erbe, der wegen - irrtümlich - angenommener Überschuldung des Nachlasses das Erbe ausgeschlagen hat, diese Ausschlagung später durch Anfechtung rückgängig machen kann.

Das Gericht hat in diesem Fall diese Frage - mit Einschränkungen - bejaht.

Grundsätzlich ist ein Erbe nicht verpflichtet, sich vor der Ausschlagung über die Zusammensetzung des Nachlasses zu informieren. Der Erbe kann bei einer Fehlvorstellung über den Wert des Nachlasses die Ausschlagung mangels Irrtums über Tatsachen allerdings nicht anfechten, wenn er seine Entscheidung alleine auf der Basis von Spekulationen trifft.

Im vorliegenden Fall hatte die Tochter nach dem Versterben ihrer Mutter die Erbschaft ausgeschlagen. Einige Zeit später erklärte Sie die Anfechtung dieser Ausschlagungserklärung und beantragte nunmehr einen Erbschein als Alleinerbin.

Die Tochter hatte seit ihrem 11. Lebensjahr keinen Kontakt mehr zu ihrer alkoholkranken Mutter. Die Kriminalbeamtin, die die Tochter über den Tod der Mutter informierte, hatte ihr gegenüber berichtet, dass die im Bahnhofsviertel befindliche Wohnung der Mutter in einem chaotischen und unaufgeräumten Zustand gewesen sei. Aufgrund dessen hat die Tochter angenommen ihre Mutter sei abgerutscht und habe im sozialen Brennpunkt gelebt. Sie schlug daher das Erbe aus Sorge vor Überschuldung aus. Tatsächlich verfügte die Mutter aber über Kontoguthaben im fünfstelligen Bereich, wovon die Tochter erst durch ein Schreiben des Nachlasspflegers erfuhr - nachdem sie das Erbe ausgeschlagen hatte.

Daraufhin ficht die Tochter ihre Ausschlagung an und beantragte einen Erbschein, der sie als Alleinerbin auswies.

Die Beantragung des Erbscheins wies das Nachlassgericht mit der Begründung zurück, dass die Anfechtung der Erbausschlagung unwirksam sei. Dagegen legte die Tochter nun erfolgreich Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein.

Das Gericht stellte nach Anhörung der Tochter fest, dass sie ihre Ausschlagungserklärung wirksam angefochten und damit die Erbschaft doch noch angenommen hat.

Die Tochter habe sich über die konkrete Zusammensetzung des Nachlasses und damit über eine verkehrswesentliche Eigenschaft geirrt, insbesondere über das Vorhandensein der Konto-Guthaben. Daher habe die Tochter einem Eigenschaftsirrtum unterlegen, § 119 II BGB. Ein solcher Irrtum ist für die Ausschlagung kausal, wenn der Erbe naheliegende Erkenntnismöglichkeiten über die Zusammensetzung des Nachlasses genutzt und diese im Ergebnis unzutreffend bewertet habe. So liegt der Fall hier. Zwar hat die Tochter nicht alle naheliegenden Möglichkeiten ausgeschöpft, um sich über die Zusammensetzung des Nachlasses zu erkundigen, was gegen das Vorliegen eines Irrtums spreche, aber der Senat gelangte dennoch aufgrund der persönlichen Anhörung der Tochter zu der Überzeugung, dass die Ausschlagung auf einer Fehlvorstellung und nicht auf einer Vermutung basiert habe, weil sie auf den Angaben der Polizeibeamtin über den Zustand der Wohnung der Mutter beruhte.

Trifft indes der Erbe seine Entscheidung bewusst spekulativ, d.h. auf einer ungesicherten Grundlage, handelt es sich allein um Vermutungen hinsichtlich der Zusammensetzung des Nachlasses. Eine so entstandene Fehlvorstellung berechtigt nicht zur Anfechtung, da der Erbe in diesem Fall seine Entscheidung „bewusst auf spekulativer (…) Grundlage getroffen hat“.

Soweit sich die Tochter im vorliegenden Fall über den Wert des Nachlasses an sich geirrt hat und von einer Überschuldung ausgegangen ist, begründet dies keinen Anfechtungsgrund. Zur Begründung führte der Senat aus, „ Der Wert ist anders als die wertbildenden Faktoren keine Eigenschaft einer Sache“.

Die Tochter unterlag einem Eigenschaftsirrtum, da sie sich über die Zusammensetzung des Nachlasses als Ganzes geirrt hat, insbesondere über die Existenz der Kontoguthaben. Dieser Irrtum war kausal für die Ausschlagung des Erbes. Daher konnte sie die Ausschlagung noch wirksam anfechten und damit das Erbe annehmen.

 



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