Arzthaftung
Herzschlag verwechselt: € 500.000 Schmerzensgeld für Geburtsschaden
16.12.2019
Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 13.11.2019 – 5 U 108/18 –
Wegen eines groben Behandlungsfehlers bei der Geburt hat das OLG Oldenburg einem heute 8-jährigen Mädchen aus dem Landkreis Gütersloh € 500.000 Schmerzensgeld zugesprochen und festgestellt, dass die beklagte Klinik aus dem Landkreis Osnabrück sowie die beklagte Ärztin zudem verpflichtet sind, dem Mädchen sämtlichen Vermögensschaden zu ersetzen, der ihr aus den Behandlungsfehlern anlässlich ihrer Geburt entstanden ist oder zukünftig entstehen wird.
Das Mädchen hat als Folge einer Sauerstoffunterversorgung vor der Geburt einen schweren Hirnschaden erlitten und ist schwerstbehindert. Sie wird Zeit ihres Lebens immer auf fremde Hilfe angewiesen sein.
Das Mädchen hat die Schädigung erlitten, weil ca. 45 Minuten vor der Entbindung ihre Herzfrequenz sehr stark abgefallen war (sog. Bradykardie). In diesem Zeitraum zeichnete das CTG (sog. Wehenschreiber) für ca. 10 Minuten keinen Herzschlag auf, weder den des Kindes noch den der Mutter. Als nach 10 Minuten im CTG ein Herzschlag mit normgerechter Frequenz wieder erfasst werden konnte, hielten die Ärzte dies für den Herzschlag des Kindes in der Annahme, es habe sich wieder erholt. Tatsächlich handelte es sich allerdings um den Herzschlag der Mutter. Als man den Irrtum später bemerkte, war die Klägerin durch die lange Sauerstoffunterversorgung bereits erheblich geschädigt.
Das Gericht ist der Ansicht, dass dieses Vorgehen einen groben Behandlungsfehler der behandelnden Ärzte darstellt. Diese hätten sich angesichts des Verdachts auf einen kindlichen Herzfrequenzabfall auf andere Weise davon überzeugen müssen, dass es dem Kind gut geht, z.B. durch eine sog. Kopfschwartenelektrode; keinesfalls hätte man sich angesichts der bedrohlichen Situation über einen Zeitraum von 10 Minuten mit einem nicht aussagekräftigen CTG zufrieden geben dürfen.
Weil die Beklagten bereits aus diesem Grund der Klägerin hafteten, musste sich der Senat mit den weiteren Vorwürfen gegen die Klinik, dass nämlich die Reanimation nach der Geburt nicht sofort begonnen wurde, dass kein Beatmungsbeutel nach der Geburt zur Verfügung gestanden hatte, dass die Maskenbeatmung nach der Geburt versehentlich ohne Druck erfolgt und dass der verständigte Notarzt 10 Minuten zu spät erschienen war, nicht weiter auseinandersetzen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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Nils-Frederik Göbel
Rechtsanwalt / Fachanwalt für Medizinrecht