Arzthaftung

Beweislast bei Hygieneverstoß im Krankenhaus

22.02.2021

Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 18.02.2020 - VI ZR 280/19 -


Gerichtsprozesse entscheiden sich nicht selten daran, wer welche Tatsache vortragen muss (Darlegungslast) und wer den Beweis hierfür zu erbringen hat (Beweislast).

Dies gilt insbesondere für den Arzthaftungsprozess, weil der klagende Patient in der Regel das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und den Kausalzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem eingetretenen Gesundheitsschaden darlegen und beweisen muss, es sei denn, es liegt ein grober Behandlungsfehler vor, der zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes führt.

Bleibt es aber bei der Beweislast für den Patienten, wird dieser den Beweis insbesondere für den Kausalzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Gesundheitsschaden oft nur schwer führen können. Dies liegt in erster Linie an dem erheblichen Wissensvorsprung des beklagten Arztes gegenüber den lediglich laienhaften medizinischen Kenntnissen des Patienten. Dies führt unweigerlich zu einer "Waffenungleichheit" im Prozess zu Lasten des Patienten.

Insbesondere in Prozessen, die Hygienemängel im Krankenhaus zum Gegenstand haben, ist der Beweis für den Mandanten noch schwerer zu führen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) versucht, die Waffengleichheit im Prozess durch eine Verschiebung der Darlegungs- und Beweislast z.B. in "Hygiene"-Fällen zu Gunsten des Patienten wieder herzustellen.

In dem vom BGH hierzu entschiedenen Fall war bei einer an Diabetes leidenden Patientin im Krankenhaus während eines neun Tage langen stationären Aufenthalts u.a. eine Magenspiegelung, eine Koloskopie und eine Schmerztherapie durchgeführt worden. Drei Tage nach ihrer Entlassung wurde die Patientin erneut aufgenommen, nachdem Blutzuckerentgleisungen bemerkt worden waren und ihre Schmerzen erheblich zugenommen hatten.

Nach Feststellung zunehmender Schmerzen, eines reduzierten Allgemeinzustands, allgemeiner körperlicher Schwäche und erhöhter Entzündungswerte wurde die Patientin wegen einer vermuteten Infektion und den klinischen Anzeichen einer Lungenentzündung mit verschiedenen Antibiotika und Cortison behandelt. Sechs Tage nach der (zweiten) Aufnahme verstarb die Patientin an einer schweren Sepsis. Im Nachhinein wurde in einer Blutkultur der Keim Staphylococcus aureus nachgewiesen.


In den ersten beiden Instanzen ist die Klage der Patientin bzw. deren Erben zum Teil abgewiesen, weil von Patientenseite die Umstände hinsichtlich des behaupteten Hygienemangels nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden seien.

Der BGH hat daraufhin entschieden, dass die Vorinstanzen die an eine hinreichende Substantiierung des Klagevortrags zu stellenden Anforderungen überspannt habe und die Klägerinnen dadurch in entscheidungserheblicher Weise in ihrem aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat.

Aus den Gründen:

Einschränkungen der Darlegungslast des Patienten können sich nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen auch insoweit ergeben, als der Patient außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht und ihm eine nähere Substantiierung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. In diesem Fall hat die Behandlungsseite nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast auf die Behauptungen des Patienten substantiiert, d.h. mit näheren Angaben zu erwidern, wenn ihr Bestreiten nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO beachtlich sein soll. Die Anforderungen an die Darlegungslast der Behandlungsseite bestimmen sich dabei weitgehend nach den Umständen des Einzelfalls, sie richten sich nach der Art des im Raum stehenden Vorwurfs und stehen im Wechselspiel zu der Tiefe des primären Vortrags des Patienten. Beweiserleichterungen resultieren aus der sekundären Darlegungslast allerdings nicht.

In der Kombination der genannten Grundsätze wird die erweiterte - sekundäre - Darlegungslast der Behandlungsseite im Arzthaftungsprozess ausgelöst, wenn die primäre Darlegung des Konfliktstoffs durch den Patienten den aufgezeigten maßvollen Anforderungen genügt und die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite gestattet, während es dieser möglich und zumutbar ist, den Sachverhalt näher aufzuklären.

Letzteres wird bei der Behauptung eines Hygieneverstoßes regelmäßig der Fall sein, entziehen sich doch sowohl die Existenz möglicher Infektionsquellen etwa in Gestalt weiterer Patienten oder verunreinigter Instrumente als auch die Maßnahmen, welche die Behandlungsseite im Allgemeinen und - bei Vorliegen konkreter Gefahrenquellen - im Besonderen zur Einhaltung der Hygienebestimmungen und zur Infektionsprävention unternommen hat, in aller Regel der Kenntnis des Patienten, während die Behandlungsseite ohne weiteres über die entsprechenden Informationen verfügt. Dem Senatsbeschluss vom 16.8.2016 (VI ZR 634/15; aufgegriffen im Senatsurteil vom 28.8.2018 - VI ZR 509/17) kann für das Auslösen der sekundären Darlegungslast nicht die Voraussetzung entnommen werden, dass der Patient konkrete Anhaltspunkte für einen Hygieneverstoß vorträgt.

Der Senat hat solchen Vortrag in dem genannten Beschluss lediglich ausreichen lassen, nicht aber zur Voraussetzung erhoben. Es bleibt vielmehr auch und gerade bei der Behauptung von Hygieneverstößen bei den allgemein für das Arzthaftungsrecht geltenden maßvollen Anforderungen an die primäre Darlegungslast des Patienten. Es genügt, wenn der beweisbelastete Patient Vortrag hält, der die Vermutung eines Hygienefehlers der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für ihn gestattet.

Infolgedessen ist der Vortrag der Klägerinnen zu Hygienemängeln entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schlüssig. Er reicht aus, eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten auszulösen. Die Klägerinnen haben u.a. behauptet, die Patientin sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft behandelt worden (Möglichkeit eines beim ersten stationären Aufenthalt erworbenen Keims). Es seien durchgängig Hygieneverstöße struktureller Art als auch individuelle Versäumnisse zu beobachten gewesen.

Nach diesem Vortrag oblag es den Beklagten, konkret zu den von ihnen ergriffenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Hygiene und zum Infektionsschutz bei der Behandlung der Patientin vorzutragen, etwa durch Vorlage von Desinfektions- und Reinigungsplänen sowie der einschlägigen Hausanordnungen und Bestimmungen des Hygieneplanes. Anschließend hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob der Vortrag der Beklagten ihrer sekundären Vortragslast genügt und gegebenenfalls in die Beweisaufnahme eintreten müssen. Demgegenüber hat sich das Berufungsgericht darauf beschränkt, den Vortrag der Klägerinnen zu konkreten Anhaltspunkten für einen Hygieneverstoß zu bewerten.

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