Arbeitsrecht für Arbeitgeber

Umfassende Pflicht des Arbeitgebers zur Erfassung von Arbeitszeit

26.08.2019

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 14.05.2019 – C-55/18 –


Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 14. Mai 2019 (Az. C-55/18) über die Pflicht der Schaffung einer systematischen Arbeitszeiterfassung für einen medialen Aufschrei in Politik und Gewerkschaften gesorgt und damit kontroverse Diskussionen bzgl. der Auswirkungen auf das zukünftige Arbeitsleben losgetreten. Das Unionrecht verpflichtet Arbeitgeber von nun an zur Einhaltung der europäischen Arbeitsrechtlinie 2003/88/EG, nicht nur geleistete Überstunden, sondern die gesamte Arbeitszeit ihrer Angestellten zu erfassen.

Bislang sah das deutsche Arbeitszeitgesetz (§ 16 Abs. 2 ArbZG) lediglich die Pflicht des Arbeitgebers vor, die über die Regelarbeitszeit von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen.

Der Leiter des Bereiches Politik und Wirtschaft des Verbandes der Familienunternehmen, Peer Robin Paulus, bezeichnete das Urteil als „Zeitreise in die Vergangenheit“ welches nicht mit dem heutigen Arbeitsleben eines modernen Unternehmens in Einklang zu bringen sei. Flexible Arbeitszeitmodelle in Form von mobilem Arbeiten und Homeoffice, die den Betroffenen den Spagat zwischen Berufs- und Familienleben erleichtern sollen, sind in den vergangenen Jahren mehr und mehr zur Anwendung gelangt; Tendenz steigend. Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, Peter Altmaier, bezeichnete das Urteil ebenfalls als „Weg in die falsche Richtung“, betonte jedoch, dass er zum derzeitigen Zeitpunkt davon ausgehe, dass die deutsche Gesetzgebung bereits die geforderten Kriterien erfülle. Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, begrüßte die Entscheidung hingegen als Ende der „Flatrate-Arbeit“.

In dem zugrunde liegenden Urteil wollte eine spanische Gewerkschaft, im Wege einer Verbandsklage, vor dem nationalen Gerichtshof gegen eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank eine Verpflichtung zur Aufzeichnung der täglich vollständig geleisteten Arbeitszeit erstreiten. Mithilfe dieses Systems sollte die Einhaltung der arbeitszeitlichen Höchstgrenze und die Verpflichtung zur Unterrichtung der Gewerkschaftsvertreter über die monatlich geleisteten Überstunden gewährleistet werden. In Spanien bestand bislang ebenfalls nur die Dokumentationspflicht von geleisteten Überstunden, was nach Auffassung der Gewerkschaft nicht ausreichend sei. Der spanische Gerichtshof legte die Frage zur Vorabentscheidung dem EuGH vor, der diese zugunsten der Gewerkschaft beantwortete.

Die EuGH-Richter sind der Ansicht der Gewerkschaft gefolgt. Die Verpflichtung zur systematischen vollumfänglichen Arbeitszeiterfassung ergebe sich aus der Europäischen Arbeitsrichtlinie 2003/88/EG und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Insbesondere aus Letzterer ergebe sich das Grundrecht eines jeden Arbeitnehmers auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit (48 Stunden pro Woche u. 11 Stunden pro Tag) und einer wöchentlichen Mindest-Ruhezeit (24 Stunden am Stück). Ohne die Einrichtung eines Kontrollsystems, mit dessen Hilfe die tägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werden könne, könnten weder die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und deren tägliche Verteilung, noch die Zahl der Überstunden verlässlich und objektiv ermittelt werden. Dem Arbeitnehmer wäre es nahezu unmöglich, die ihm zustehenden Rechte auch durchzusetzen, was die Richtlinie als sein Schutzinstrument ins Leere laufen ließe.

Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten bestimmter Unternehmen (bspw. ihrer Größe) können dabei ausdrücklich berücksichtigt werden. Der wirksame Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer genieße Vorrang vor rein wirtschaftlichen Überlegungen der Unternehmen durch möglicherweise zusätzliche entstehende Dokumentationskosten.

Es ist nun Aufgabe der EU-Mitgliedstaaten, im Rahmen des ihnen eröffneten Spielraums, die konkreten Modalitäten eines objektiv verlässlichen und zugänglichen Systems zur umfänglichen Arbeitszeiterfassung zu schaffen. Ob tatsächlich ein Anpassungsbedarf des deutschen Arbeitszeitgesetztes besteht oder dieses in Zukunft unionrechtskonform auszulegen ist, wird derzeit geprüft.

Das Urteil wird auch in Zukunft zu politisch lebhaften Diskussionen führen. Ob es jedoch moderne flexible Arbeitsformen und die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit erschweren wird, bleibt abzuwarten. Unter dem Strich ist die Gesetzeslage unverändert geblieben. Tägliche Arbeitszeiten von mehr als 11 Stunden waren auch nach bisherigem Arbeitsrecht unzulässig. Verstöße fielen aufgrund mangelnder Erfassung lediglich schwerer auf.

Für Unternehmen wird es in Zukunft ratsam sein, die Installation eines solchen Systems durchzuführen, um ihre Position in möglichen Gerichtsverfahren nicht zu verschlechtern.

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